Zu Besuch im Ortenberger Schloss
Erwartungen an Luxus und mondänes Leben werden schnell zurecht gerückt

Das große gusseiserne Tor öffnet sich wie von Geisterhand und gewährt Einlass in eine Welt, die der normale Bürger sich für gewöhnlich als mondän und luxuriös vorstellt. Durch den Torbogen geht es bergauf, der Blick fällt auf eine über 200  Jahre alte Platane und nach einer lang gestreckten Kurve und einigen weiteren Höhenmetern zeigt sich das Ortenberger Schloss erstmals in seiner vollen Pracht. Über der großen Eingangstür mit reichen Verzierungen prangt das Wappen der Grafen und Fürsten zu Stolberg Roßla.

Nach dem Öffnen dieser Tür werden die Erwartungen an Luxus und mondänes Leben schnell zurecht gerückt. In einer Nische neben dem Treppenhaus parken zwischen uralten Truhen mit schweren Beschlägen zwei Kinderwagen und ein alter Leiterwagen. Kinderspielzeug liegt auf dem Boden. Es wird schnell klar: Hier lebt eine junge Familie, nicht mondän und luxuriös, sondern so normal wie andere Familien auch. Aber eben doch ein bisschen anders: In einem Schloss, in dem jede Türklinke eine Geschichte erzählen könnte. Geschichten von honorigen Menschen, die diese Klinke in den vergangenen Jahrhunderten heruntergedrückt haben.

Der erste Blick fällt aber nicht nur auf die alten holzvertäfelten Wände, auf den Steinfußboden oder die vielen Ölgemälde, sondern auch auf das Baumaterial, das in den Gängen liegt. Keine Frage, in diesem Schloss wird nicht nur gelebt, sondern auch fleißig gebaut. Bauherr ist Fürst Alexander zu Stolberg Roßla. Er bewohnt seit acht Jahren das Schloss mit seiner Familie. Und seit zehn Jahren ist er dabei, das Schloss zu restaurieren.

„Als wir mit den Arbeiten begonnen haben, hätte ich mir nie träumen lassen, dass es so lange dauern wird.“ Fürst Alexander sagt diesen Satz sehr gelassen. Verzweifelt scheint er nicht darüber zu sein, dass er da eine Herkules-Aufgabe übernommen hat. Ganz im Gegenteil. Das Renovieren seines Schlosses scheint für den gelernten Forstwissenschaftler im Laufe der Jahre zur Leidenschaft geworden zu sein. Ein Ende der Arbeiten ist nicht absehbar. Diese Vermutung bestätigt sich schnell. Fürst Alexander kann zu jedem Detail der Restaurierung eine Geschichte erzählen.

Beispielsweise zum berühmten Rauchzimmer, das sich im Obergeschoss des Westflügels befindet, direkt neben dem großen Saal. Bei der Restaurierung der Decke wurde eine alte Deckenmalerei aus der Mitte des 19. Jahrhunderts freigelegt. „Nachdem wir die Leuchter abgenommen hatten und einige seltsame Ränder sichtbar wurden, dachte ich mir, vielleicht verbirgt sich dahinter mehr‘. Als dann die Restauratorin die erste Farbschicht vorsichtig entfernte, wurde das alte Gemälde sichtbar“, erzählt Stolberg  nicht ohne Stolz.

Mit den Entdeckungen ging es im Laufe der Restaurierungsarbeiten weiter. Auf dem Dachboden wurde ein Bündel alter Tapeten gefunden. Der Fürst brachte sie direkt zum Tapetenmuseum nach Kassel und ließ sie dort analysieren. Bei den Tapeten handelt es sich um Handruck-Tapeten, die um 1815 in Frankreich hergestellt wurden.  Ein Stück der alten Tapete, auf der eine antike Frauenfigur abgebildet ist, haben die Restauratoren in einer Ecke des Zimmers neben dem Rauchzimmer angebracht und als Vorlage für die handgemalte Holzvertäfelung verwendet. Die Figur und die Ornamentik wiederholen sich zu einem Muster. Eine Figur ist etwa 40 Zentimeter hoch und 20 Zentimeter breit. Alles scheint immer gleich. Bis auf eine Kleinigkeit: Im Verlauf der Holzvertäfelung ändert sich der Schattenwurf der Figur. „Diese Figuren wurden wirklich alle mit der Hand gemalt?“ Nachdem Stolberg die Frage zum zweiten Mal mit einen deutlichen Ja beantwortet hat, schweift der Blick rund um das Zimmer. Das sind wirklich viele Figuren und es muss Monate gedauert haben, bis die alle an ihrem Platz waren.

Nicht immer haben die Handwerker und Restauratoren kulturhistorische Schätze hinter den Wänden, Decken und Böden entdeckt. Manchmal wurden auch erschreckende Dinge sichtbar. Beispielsweise Hausschwamm in den Deckenbalken, der die Restaurierung des Ostflügels schwierig und vor allem aufwändig macht.

Bauherr Fürst Alexander zu Stolberg Roßla

Die Restaurierung eines Schlosses ist wohl kaum kalkulierbar. Eines der ersten Gewerke, die begonnen wurden, war die Überarbeitung des gesamten Daches. Die Aussage des Statikers, der das alte Gebälk in Augenschein nahm, war ernüchternd: „Ihr Dach kann durchaus noch hundert Jahre halten, es kann Ihnen aber auch morgen auf den Kopf fallen“. Diese Aussage war nicht gerade beruhigend, erst Recht, weil die Familie direkt unter dem Dach im obersten Geschoss wohnt. Tatsächlich war die Statik der besonderen Dachkonstruktion nicht zu berechnen und einige Balken des so genannten Hängewerks waren bereits in einem bedenklichen Zustand. Mit viel Aufwand wurden Stahlträger eingezogen, die nun dafür sorgen, dass die Familie auch bei Sturm und Schneelast beruhigt schlafen kann.

Eine weitere schwierige Aufgabe war die Wärmedämmung des Schlosses. Energetische Maßnahmen in einem denkmalgeschützten Gebäude sind nur möglich, wo sie nicht auffallen. Hier hat sich der Fürst gemeinsam mit seinem Architekten bei den Fenstern eine besondere Lösung einfallen lassen. Die Fenster wurden nicht erneuert, sondern umgebaut. Hinter das historische Glas wurde ein zweites Glas eingesetzt. So erreicht man eine bessere Dämmung, ohne den historischen Reiz zu zerstören. Stolberg zeigt auf das Fenster und macht auf ein besonderes Detail aufmerksam: Die Leiste zwischen den beiden Glasscheiben, die in normalen Fenstern silberfarben ist, wurde hier extra  in der Fensterfarbe gestrichen. Damit sieht man wirklich erst bei genauem Hinsehen, dass es sich um ein „modernes“ Doppelglas-Fenster handelt. Einige Architekten und Denkmalschützer, die sich mit der Restaurierung von  historischen Gebäuden beschäftigen, zeigen sich von der  Methode begeistert.

Es sind diese Details, die den Aufwand einer sorgfältigen historischen Restaurierung deutlich machen. Ohne Unterstützung und Förderung durch das Land Hessen, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und den Wetteraukreis wäre eine solche Restaurierung kaum möglich. Jedoch trägt den größten Teil der Kosten der Fürst selbst. Das Geld erwirtschaftet er mit seinem forstwirtschaftlichen Betrieb. „Unser Forstbetrieb ist ein ganz normales  mittelständisches Unternehmen. Die Schlosssanierung haben wir in einzelne Bauabschnitte unterteilt. So können wir die vielen Baumaßnahmen und Investitionen besser überblicken.“ Stolberg hat eine klare Vorstellung von Verantwortung und Nachhaltigkeit. Mit der Pflege seines Waldes ist es für ihn wie mit dem historisch gewachsenen Gebäude  Schloss Ortenberg. Er hat den Besitz von seinen Vorfahren geerbt und seine Aufgabe ist es, diesen Besitz zu erhalten und zu pflegen, damit auch spätere Generationen von und mit diesem Besitz leben können. Dass er die Erträge aus der  Forstwirtschaft in die Restaurierung des Schlosses investiert, macht ihn sehr sympathisch. Dass er diese kostbaren Kulturschätze auch öffentlich zugänglich macht, zeigt seine besondere Einstellung zu Tradition, Erbe und Verantwortung.