Im 15. Jahrhundert wurde nicht lange gefackelt. Wer sich daneben benahm, volltrunken auf der Straße Krawall machte oder sich beim Eintritt in die Stadt bei den Wachtposten nicht ausweisen konnte, wurde ins Loch gesteckt, in das so genannte Betzenloch. Gerade mal so hoch, dass man in gebeugter Haltung stehen konnte. Genau richtig, um ein wenig über Demut und Anstand nachzudenken. Wenn der Rauf- und Saufbold Glück hatte, dann hatte er das Betzenloch für sich alleine. Wenn er Pech hatte, kam es schon mal vor, dass er sich mit zwei bis drei anderen Raufbolden die enge Zelle teilen musste. Die Zeiten, in denen die Betzenlöcher in Büdingen zu disziplinarischen Maßnahmen verwendet wurden, sind lange vorbei. Wenn es aber um den Genuss von hochprozentigen Getränken geht, dann spielt das Betzenloch in der Obergasse in Büdingen immer noch eine nicht unwichtige Rolle. Die vielen Nachtwächter Büdingens machen bei ihren Rundgängen durch die Altstadt mit ihren Gästen hier Halt und laden zu einem hochprozentigen Trunk ein.
Gut versteckt und sicher abgeschlossen warten hier Schnapsflasche und Gläser auf die Gäste, die bereits zahlreiche Geschichten über die Altstadt Büdingens erfahren haben. Eine Nachtwächterführung durch Büdingen ist eine kleine Zeitreise. Wer den Ausführungen der gewandeten Gästeführer lauscht und ein wenig Phantasie hat, der kann sich gut vorstellen, wie es in dem kleinen Städtchen im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit zuging. Eberhard Gömmer ist Gästeführer in Büdingen. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt den vielen verschiedenen Besonderheiten der alten Bauten Büdingens, besonders der alten Fachwerkhäuser. Man merkt seine Begeisterung, wenn er seinen Gästen die Fachwerkform des „wilden Mannes“ erklärt. Mit einem Augenzwinkern macht er seine Zuhörer und Zuschauer auf eine Öffnung am turmartigen Treppenaufgang des alten Rathauses aufmerksam. Etwas unerklärlich: Drei Meter über dem Boden ist eine Tür. Wo führt die hin? Nachtwächter Eberhard Gömmer löst das Rätsel schnell auf: Im Fachwerkhaus gegenüber erkennt man ebenfalls eine ehemalige Türöffnung.
Im 16. Jahrhundert gab es hier einen Übergang zwischen den Häusern, damit der Gerichtsschreiber bequem und ohne Treppen steigen zu müssen von Amtsstube zu Wohnung kam. Eberhard Gömmer spricht hier mit einem Schmunzeln im Gesicht auch gerne von der „Büdinger Beamtenlaufbahn“. Bei einem Gang durch die alten Gassen Büdingens wird einem schnell klar, dass im 14. und 15. Jahrhundert die oberhessische Stadt boomte. Aus der hölzernen Kapelle wurde die heutige Stadtkirche, die Wasserburg wurde immer wieder umgebaut und erweitert. Mit den Befestigungsanlagen entstanden ,Jerusalemer Tor‘, Bollwerk, die zahlreichen Wehrtürme, das Steinerne Haus und viele weitere schmucke Fachwerkhäuser, die heute noch den einmaligen Charme Büdingens ausmachen. Ein Spaziergang durch die mittelalterlichen Gassen Büdingens ist eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Wir verwöhnten Menschen des 21. Jahrhunderts mit iPod, Zentralheizung und Fernbedienung sehen immer ein wenig verklärt in die Zeit des Mittelalters. Unser verträumter Blick beim Spaziergang durch die alten Gassen lenkt uns manchmal davon ab, darüber nachzudenken, mit welcher Energie und Mühe unsere Vorfahren diese wunderschönen Baudenkmäler errichtet haben, ganz ohne Kran, elektrische Maschinen und ohne Computer. Und doch hatten die Erbauer viel Sinn für Verzierungen und Symbolik für ihre Häuser. Alle Stadtführungen durch die Festungsstadt Büdingen führen auf besonders angenehme und unterhaltsame Weise in die Welt, die uns heute so fremd ist und uns gleichzeitig doch so fasziniert.