In Oberhessen hat das Jagen eine lange Tradition. Neben den Pächtern der Reviere kümmern sich die beiden Forstämter Nidda und Schotten um die Pflege und die Regulierung des Wildbestandes in den oberhessischen Wäldern. Lesen Sie eine ganz persönliche Reportage. Es scheint zwar ein schöner, sonniger Tag zu werden, aber einen dicken Pullover und eine warme Jacke ziehe ich mir trotzdem an. Klaus Rühl hat mir geraten, mich möglichst warm anzuziehen. Er ist leidenschaftlicher Jäger und selbst Jagdpächter in Echzell. Als guter Freund hat er mir versprochen, mich auf die Jagd nach Rudingshain an die Seite zu nehmen, damit ich endlich einmal eine Jagd hautnah erleben kann. Hoffentlich hat er das mit dem „warm anziehen“ nicht im übertragenen Sinne gemeint. Wer wäre wohl nicht nervös, wenn er das erste Mal mitten im Wald steht, umgeben von schwer bewaffneten Menschen, die das Jagdfieber gepackt hat? Meine Nervosität nimmt nicht gerade ab, als mir eine grell orangefarbene Jacke gereicht wird mit dem Hinweis, dass diese wohl besser sei als meine zwar modische und warme, aber mausgraue Jacke.
Außerdem sei das Tragen dieser Westen nach den gesetzlichen Unfallverhütungsvorschriften vorgeschrieben. Treffen der Jagdgesellschaft ist an den Forellenteichen, ganz in der Nähe der Taufsteinhütte. Aus dem gesamten Bundesgebiet, sogar aus den Niederlanden und Belgien kommen Jäger angereist, um an dieser Drückjagd in Rudingshain teilzunehmen. Für die Forstämter ist die Durchführung solcher Jagden zwar ein großer organisatorischer Aufwand, aber auch eine willkommene Einnahmequelle. Sie bieten die Teilnahme an diesen Jagden im Internet an. Der größte Teil der über 60 Jäger an diesem Tag kommt jedes Jahr nach Oberhessen zum Jagen, denn Oberhessen ist eine gute Jagdregion. Es gibt viele Wälder. Eine ausgeprägte Landwirtschaft mit großen Maisflächen und eine zum Teil geringe Besiedlung bieten für Wildschwein und Co. beste Voraussetzungen, sich munter zu vermehren.
Der Platz vor der Jagdhütte füllt sich. Nicht nur mit Jägern, sondern auch mit zahlreichen Hunden, die ganz nervös und gut gelaunt hin und her laufen und von ihren Herrchen nur mit Mühe beruhigt werden können. „Der kann es kaum erwarten, bis es losgeht“, erklärt mir ein Jäger. Und er erklärt mir auch, dass es verschiedene Hunde für verschiedene Aufgaben gibt. Sein Hund ist eine Bracke und hat heute die Aufgabe, das Wild aus seinem Versteck zu treiben.
Eine knallgelbe Weste mit festen Gewebeeinlagen soll dem Hund doppelten Schutz bieten. Zum einen möchte natürlich kein Jäger auf einen Hund schießen, zum anderen haben Wildschweine viel Kraft und sind nicht gerade zimperlich, wenn ein Hund sie aufspürt. In der Fachsprache heißt das, ein Hund wird geschlagen.
Überhaupt ist das mit der Fachsprache eine komplizierte Sache. Bevor man schießt, sollte man eine Sau erst einmal „ansprechen“. Das heißt nicht, dass man mit der Sau ein lockeres Gespräch beginnt. Ansprechen bedeutet: Man schätzt das Wild nach Alter, Geschlecht und Gewichtsklasse ein. Blut nennt man in der Jägerfachsprache „Schweiß“ und Schweißhunde sind solche Hunde, die angeschossenes Wild aufspüren. Für das Aufspüren von angeschossenem Wild muss der Jäger eine gesonderte Ausbildung haben.
Mit einem freundlichen „Waidmanns Heil“ werde ich von vielen Jägern begrüßt. Vor der Jagdhütte liegen Tannenzweige auf dem Boden. Hier wird später die Strecke liegen, also die erlegten Tiere. Links und rechts der Tannenzweige haben die Mitarbeiter des Forstamtes Schotten aus großen Holzscheiten jeweils zwei Feuerstellen errichtet. Jagd ist nicht einfach Schießen und Erlegen, sondern hat auch viel mit Tradition, mit Zeremonie und ein wenig Romantik zu tun. Heute gibt es neben Romantik, Tradition und Naturverbundenheit auch noch die Bürokratie. Und die hat es in sich. Axel Linge, Mitarbeiter des Forstamtes Schotten, prüft nicht nur die gültigen Jagdscheine, sondern auch den Versicherungsschutz und den Nachweis des Schießtrainings.
Jäger müssen ihre Schießkünste trainieren und dies auch regelmäßig nachweisen. Das Wild sollte mit einem sicheren Schuss erlegt werden und möglichst schnell und schmerzlos sterben. „Ein Jäger möchte ein Tier erlegen und nicht quälen. Genau das ist es, was so viele Menschen nicht verstehen.“ Der Jäger aus Nordrhein-Westfalen, der neben mir steht, ist ein wenig skeptisch, als er erfährt, dass ich eine Reportage über das Jagen schreibe. Zu viele schlechte Erfahrungen. „Wir Jäger werden oft völlig falsch in der Öffentlichkeit dargestellt. Viele Journalisten zeichnen von uns Jägern immer das Bild des schießwütigen und blutrünstigen Menschen“
Um 10 Uhr ist es endlich so weit. Forstamtmann und Revierleiter Jörg Mewes teilt die Jäger in ihre jeweiligen Gruppen ein, weist ihnen ihre Standorte zu und erläutert noch einmal, welches Wild geschossen werden darf und welches nicht. Er mahnt zu Besonnenheit und wünscht jedem Jäger noch einmal viel Glück.
Mit Autos geht es dann zu den jeweiligen Hochsitzen, die nicht selten erst nach einem kurzen Fußmarsch erreicht werden können. Auf einer Fläche von 1200 Hektar wird heute gejagt. Auf der Fahrt zu unserem angewiesenen Hochsitz erklärt mir Klaus Rühl die technischen Unterschiede der verschiedenen Gewehre. Repetiergewehre, Doppelbüchse, Drilling.
Während ich über das alles nochmal nachdenke und merke, dass ich eigentlich gar nichts verstanden habe, laufen wir durch das Dickicht zu unserem Hochsitz. Jetzt heißt es Klappe halten und abwarten. Natürlich muss ein Jäger gut schießen können, um erfolgreich jagen zu können. Er muss sich auskennen in Fauna und Flora, muss sein Wissen belegen können durch eine bestandene Jagdprüfung.
Aber ein Jäger muss vor allem ein geduldiger Mensch sein. Unser Hochsitz steht vor einer kleinen Lichtung und ich stelle mir schon vor, dass zahlreiche Wildschweinrotten in den nächsten Stunden über diese Lichtung – wie es in der Jägerfachsprache heißt – wechseln werden. Das eine oder andere Schweinchen werden wir dann mit einem sicheren Schuss erlegen.
Nachdem ich Klaus Rühl flüsternd von meiner Erwartung erzählt habe, holt dieser mich auf den Boden der Tatsachen zurück. „Wildschweine sind sehr schlau und gehen an so einem Tag sicherlich nicht aufs offene Feld. Wenn wir Glück haben, dann erwischen wir welche in dem Wald rechts unter uns.“ Also warten wir, reden wenig und hören auf jedes Rascheln. Obwohl ich nicht mit einem Gewehr, sondern nur mit einer Kamera samt großem Teleobjektiv bewaffnet bin, hat mich das Jagdfieber gefasst. Ich sehne mir ein Wildschwein herbei und ich hoffe, dass ich mit meiner Kamera schneller bin als mein Freund Klaus Rühl mit seinem Gewehr.
Die Zeit vergeht und es passiert rein gar nichts. Meine Phantasie fängt an, aus den Ästen und Sträuchern im Wald seltsame Gebilde zu formen. Während ich so vor mich hin phantasiere und mich über das schöne Wetter freue, werde ich in meiner Aufmerksamkeit schon ein wenig nachlässig. War da nicht etwas? Ein komisches Geräusch, eine Art Hecheln? Jetzt ist es soweit, denke ich mir und prüfe nochmal die Belichtungseinstellung an meiner Kamera. Während ich noch mit Herzklopfen durch das Objektiv den Wald absuche, nimmt Klaus Rühl die Waffe schon wieder herunter. „Wir schießen nicht auf knallgelbe Wildscheine“, schmunzelt er. Jetzt sehe ich es auch. Eine Bracke mit gelber Warnweste streift durchs Unterholz. Wer auf die Jagd geht, wird nicht immer mit Jagdglück belohnt. Das müssen wir heute schmerzlich erfahren. Nicht ein einziges Wildschwein lässt sich bei uns blicken. Ab und zu schaut ein Hund vorbei, zieht hechelnd weiter und lässt uns hoffen.
Dass es ringsherum immer mal wieder knallt, stimmt uns nicht gerade glücklicher. Für die Wildschweine, die wir nicht erlegt haben, waren die letzten vier Stunden sicherlich eine gute Zeit. Wir sind hingegen schon ein wenig enttäuscht. Klaus Rühl nimmt es dennoch gelassen, murmelt etwas von „Munition gespart“ und fährt uns zur Jagdhütte zurück. Auf der Rückfahrt erzählt er mir, dass es auch ganz anders ausgehen kann, und dass er schonmal mehrere Wildsauen auf einer Drückjagd geschossen hat. „Aha, jetzt weiß ich auch, was es mit diesem Jägerlatein auf sich hat“, denke ich mir und mache mir Gedanken um eine Geschichte, die ich eigentlich gar nicht erlebt habe. Oder doch. Denn während ich im Auto sitze und über dieses wunderschöne Plätzchen auf dem Hochsitz nachdenke, merke ich erst, wie schön es ist, einmal nicht im Büro am Schreibtisch zu sitzen.
Dass manchen Jägern die Jagdgöttin Diana wohler gesonnen war, erfahren wir bei der Ankunft an der Jagdhütte. Das erlegte Wild wird nach Größe ausgerichtet auf die Tannenzweige gelegt. Eine beachtliche Strecke: 34 Sauen, vier Stück weibliches Rotwild und vier Füchse wurden geschossen. Die Tiere sind aufgebrochen und werden vor Ort gereinigt. Schnell füllt sich der Platz vor der Jagdhütte um die Strecke. Nach und nach treffen die Jäger ein. Die Jagd wird jetzt analysiert, jeder Schuss noch mal rekapituliert. Es stimmt, Jäger sind sehr gesellige Menschen. Blutrünstig und schießwütig ist allerdings keiner.
Der Anblick der Strecke ist für einen Laien zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber wer ein Tier essen möchte, der muss auch mit seinem Tod umgehen können. Der Tod in so manchem Großschlachthof, wo die Tiere stundenlang ängstlich und zitternd warten müssen, ist sicherlich nicht besser als der Tod im Wald. Das Leben im Wald ist aber allemal besser als das Leben in der unwürdigen Massentierhaltung.
Wildfleisch kaufen in Oberhessen
Wildfleisch ist ein sehr hochwertiges Nahrungsmittel, es ist fettarm und reich an Mineralien und garantiert ohne Antibiotika oder sonstige Mastzusätze. In Oberhessen kann man bei den beiden Forstämtern Schotten und Nidda Wildfleisch beziehen.
Information zur Jagd in Oberhessen und zu den Hegeringen finden Sie auf der Internetseite des Jagdvereins Hubertus Büdingen unter: www.jagdverein-hubertus-buedingen.de (zur Zeit im Umbau)