Ein altes Fachwerkhaus hat einen besonderen Charme
In Oberhessen gibt es sie noch, die unentdeckten Wohnoasen

Zahlreiche alte Fachwerkensembles warten darauf, dass sie ein Liebhaber kauft und renoviert. Belohnt werden die Entdecker dann mit einer einzigartigen Wohnqualität und Wohnatmosphäre. Jochen Degkwitz hat in Echzell vorgemacht, wie man einen Traum verwirklicht. Mit viel Eigenleistung und überschaubaren finanziellen Mitteln.

Es war Zufall, dass Jochen Degkwitz seine Heimat im oberhessischen Echzell gefunden hat. Den promovierten Sinologen und Banker hat es in den 80er Jahren beruflich nach Frankfurt verschlagen und er war auf der Suche nach einem schönen Fachwerkhaus. Seine Kindheit und Jugend verbrachte der geborene Norddeutsche auf dem Land, und genau da wollte er nach seinem Studium in Hamburg und einer  kurzen Lebensphase in Frankfurt auch wieder hin. Eine Anforderung an das neue Zuhause war eine vertretbare Nähe zur Arbeitsstelle in Frankfurt. Er schaute sich mit seiner damaligen Frau einige Objekte im Taunus an, aber so richtig überzeugen konnten die nicht. Viele waren einfach zu teuer. Das Budget, das Degkwitz zur Verfügung hatte, war eher klein und es war klar, dass sich der Traum von einem alten Fachwerkhaus nur mit viel Eigenleistung verwirklichen lassen konnte. In der Rundschau las er dann von einer Hofreite, die in Echzell zum Verkauf stand. „Es war das erste Mal, dass ich mit dem Begriff ,Hofreite‘ konfrontiert wurde. Bis dahin wusste ich gar nicht, was eine Hofreite ist.“ Jochen Degkwitz sitzt in seinem großen Garten direkt hinter der Scheune an einem alten Mühlstein, der zu einem Tisch umfunktioniert wurde, er zündet sich in aller Ruhe eine Pfeife an und erzählt von seinem Abenteuer, von seinem Lebensprojekt Fachwerkhaus .

Heute beneiden ihn viele Echzeller wegen seines herrlichen Anwesens. Vor zwanzig Jahren hatten viele Mitleid mit dem optimistischen Banker, dem man den Umgang mit Lehm, Backstein und Farbe so gar nicht richtig zutraute. Jochen Degkwitz war handwerklich nicht ungeschickt, er war zuversichtlich und er hatte Geduld. 1987 hat er begonnen, seine Hofreite in der Echzeller Lindenstraße zu renovieren. Die Hofreite stand schon einige Zeit leer. Das alte Ehepaar, das die Hofreite bewohnt hatte, hatte schon sehr früh das einzige Kind verloren. So wurde die Landwirtschaft nicht ausgebaut, sondern die Felder verkauft. Hof und Scheune wurden als landwirtschaftlicher Betrieb über Jahrzehnte hinweg nicht genutzt. Keine schweren Traktoren haben dass alte Pflaster zerstört, kein Stall wurde an oder umgebaut.

Das herrliche Fachwerk verbarg sich hinter einem grau-grünen Putz. Von dem Blechdach eines Anbaus hinter dem Hauptgebäude tropfte rostiges Regenwasser auf den Hof, viele Fenster waren kaputt und Elektro- und Wasserleitungen waren nicht mehr zu gebrauchen. Es gab viel Arbeit für die neuen Hofbesitzer aus dem Norden. Prioritäten wurden gesetzt. „Meine Frau und ich arbeiteten bei einer Bank, da mussten wir morgens einigermaßen gepflegt erscheinen. Wir brauchten also zuerst eine Waschmöglichkeit und einen Raum, in dem wir schlafen konnten. Stück für Stück ging es voran und im Laufe der Jahre wurde aus der unscheinbaren Hofreite ein historisches Schmuckstück, das den Traum vom Leben in einem alten Fachwerkensemble aufs trefflichste erfüllt. Bevor es aber soweit war, gab es reichlich Arbeit. Zunächst stand auf dem Arbeitsplan ,Schutt und alte unbrauchbare Substanz entfernen‘. Dieser Arbeitsschritt füllte sieben Container und zahlreiche Anhänger mit Bauschutt. Das Entfernen von Teilen der Wände und Decken ließ erstmals einen Blick auf die alten Balken zu. Viele mussten ausgetauscht werden.

Nicht immer legten die Vorbesitzer großen Wert auf sachgemäße Restaurierungsmaßnahmen, was manchmal zu nicht ganz ungefährlichen Situationen führte. „Den Fußboden des alten Bades haben die Vorbesitzer einfach mit Beton ausgegossen, die Kloschüssel wurde einfach mit eingegossen“, erzählt Jochen Degkwitz. „Als ich mit einem schweren Hammer diese Betondecke zerlegte und entfernen wollte, stand ich plötzlich mit einem Fuß im Keller. Nur mit viel Glück konnte ich die schwere Betonplatte so beiseite schaffen, dass sie mich nicht einklemmte“. Die Wochenenden der Familie waren arbeitsreich. Das meiste erledigte der handwerklich begabte Sinologe in Eigenleistung. Wobei er mit jedem Monat auf der Baustelle mehr und mehr zum Spezialisten für Restaurierung wurde. In einem Buch hat Jochen Degkwitz nachgelesen, wie man mit Lehmwickel nach altem Vorbild eine Decke erneuern kann. Holzstäbe und Stroh hatte er in der Scheune genug, es fehlte nur noch Lehm. Wie es der Zufall manchmal will, wurde gerade zu diesem Zeitpunkt der Tagebau bei Weckesheim aufgegeben.

Auf seinem Weg von Frankfurt nach Echzell sah der mittlerweile hochbegabte Restaurator, dass die Bagger beim Beseitigen der Spuren des Tagebaus auf eine Lehmschicht gestoßen waren. Er sprach mit den Arbeitern, gab ihnen 20 Mark und ließ sich noch am selben Abend einen Anhänger mit Lehm beladen. Dann ging es an die Lehmwickelproduktion und die originalgetreue Deckensanierung. Nicht alles wurde ich Eigenleistung restauriert. Selbstverständlich holte sich Familie Degkwitz auch professionelle Hilfe von heimischen Handwerkern. Mit Geduld und Ausdauer wurde Zimmer für Zimmer fertig. Mehr noch. Der alte Anbau musste weichen. Aus den übrig gebliebenen Balken zimmerte Jochen Degkwitz einen Balkon, der heute von den vielen Gästen der Familie immer wieder bewundert wird. Apropos Gäste. Der herrliche Innenhof mit seinem besonderen Ambiente und die alte Scheune werden immer wieder zur Theaterbühne umfunktioniert. Zur 1225-Jahr-Feier führte die Theatergruppe Echzell mit großem Erfolg Shakespeares Hamlet auf. Selbstverständlich öffnet die Familie ihren Hof auch zum Echzeller Kirchplatzfest. Die alte Hofreite ist heute ein Schmuckstück, dennoch baut Jochen Degkwitz mit Leidenschaft weiter. Ein Büro mit einer wunderschönen Galerie schmückt heute das Nebengebäude, in dem früher die Ställe unterbracht waren. Außerdem gibt es in diesem Trakt eine kleine Gästewohnung. Hinter der Scheune wurde aus einem alten Anbau kurzerhand ein kleines Sommerhäuschen mit Platz für gemütliche Grillabende. Es lässt sich herrlich leben in der alten Hofreite, die so manchen Besucher in ihren Bann gezogen hat.